Erfahrungsbericht einer Grundschulrektorin
„Die Stefan-Meier-Schule (Name wurde geändert) ist eine Grundschule im ländlichen Raum. Im kleinen 3500-Seelen-Dörfchen kennt jeder jeden. Es wird aufeinander geachtet, das Gemeindeleben mit Vereinen gemeinsam organisiert. Kinder sind hier immer mit eingebunden, es geht kein Kind ‚verschütt'. Die Ansprüche an die Schule sind hoch, wobei die Eltern sich sehr engagieren. Die Zahl der sozial auffälligen Kinder ist gering, Drogen trifft man hier – wenn überhaupt – erst am Abend an, wenn die Jugendlichen den Pausenhof ‚illegal besetzen'. Auch Gewalt erleben die Kinder untereinander im ‚normalen Rahmen'. So dachten wir zumindest.
Dass ich, zumindest was den letzten Punkt betrifft, mächtig danebenlag, zeigte der erste Vormittag des Sozialtrainings in der Klasse 3b deutlich auf. In einem unterrichtsfreien Rahmen konnten die Schüler/-innen von ihren Erfahrungen mit Gewalt untereinander erzählen. Ziel war dabei nicht, Täter zu bestrafen. Es wurde zu Ehrlichkeit und Mut ermuntert, und die Schüler/-innen nutzten diesen Rahmen und berichteten, wie es zugeht. Für mich als Rektorin und Klassenlehrerin war es erschütternd zu hören, dass die Schüler/-innen sich organisieren und absprechen, um bestimmte Schüler/-innen auszugrenzen. Dabei wird abgesprochen, wie bestimmte Kinder am stärksten verletzen werden können. Auch kam heraus, dass es den Kindern durchaus bewusst ist, dass eine seelische Verletzung oft schwerer wiegt als ein Schlag oder ein Tritt, und dass sie diese Erkenntnisse im Umgang miteinander gezielt einsetzen.
Am zweiten Tag ging die Intervention noch stärker in die Tiefe, da ein Einzelschicksal eines von Mobbing betroffenen Jungen im Vordergrund stand. Es war beeindruckend zu sehen, wie dieses Kind mit aller Offenheit und Konsequenz in die Gemeinschaft zurückgeführt werden konnte. Den Jungen, der seine Emotionen zuvor nur sehr dosiert zeigte, kenne ich seit dreieinhalb Jahren. Er wirkte unnahbar, schüchtern und schien immer bemüht, so unauffällig wie möglich zu erscheinen. An diesem Vormittag sah ich ihn erstmals vor Freude strahlen, und seine Mutter erzählte später, dass er sich nach der Mobbingintervention zum ersten Mal wieder angstfrei in die Schule getraut habe. Auch berichtete die Mutter, dass der Junge die Lobbriefe, die er von seinen Mitschülern/-innen während des Sozialtrainings erhalten hatte, zu Hause eigenhändig foliert und neben seinem Bett aufgehängt habe.
Für den Jungen, der in der Klasse vorher isoliert war, hat sich seit dem Sozialtraining sehr viel verändert: Auf seiner Rückmeldekarte zum Konflikttraining schrieb er: „Ich fand den Tag sehr gut, weil jetzt die anderen mit mir spielen.“ Er ruft jetzt wieder andere Kinder an und verabredet sich zum Spielen. In der Schule kümmern die Mitschüler/-innen sich um ihn. Er hat ein anderes Auftreten, auch gegenüber den Lehrern/-innen.
Inwieweit die Klasse ihre Bemühungen, den Jungen zu integrieren, aufrechterhält, hängt sehr von der Klassenlehrerin ab. Doch bei der ‚Nachsorge' werden die Lehrer/-innen nicht alleine gelassen, sondern durch den Referenten oder die Referentin von Konflikt-KULTUR weiter begleitet. Die regelmäßig nachfolgenden Termine in der Klasse und mit der Lehrperson sichern die Nachhaltigkeit.
Meiner Meinung nach ist es sehr wichtig, dass das gesamte Kollegium miteinbezogen wird. Innerhalb einer mehrtätigen Fortbildung, die Konflikt-KULTUR zum Thema ‚Systemische Mobbingintervention' anbietet, wird das Lehrerverhalten in schwierigen Situationen reflektiert, und es werden alternative Handlungsmöglichkeiten aufgezeigt. Der Erfolg dieses Konzeptes steht und fällt aber mit dem Engagement der Lehrer/-innen. Als Rektorin kann ich diese Präventionsmaßnahme nur weiterempfehlen.“